28. Oktober 2013

Montagsisolation

6.35Uhr.
Der kalte Wind knallt mir direkt ins Gesicht. Ich ignoriere ihn und denke an mein warmes, kuscheliges Bett, welches ich erst vor einer halben Stunde verlassen musste. Gott, wie ich es vermisste. Ich knurre im Geiste und setze brav einen Fuß vor den anderen. Bloß nicht drüber nachdenken.
In meinem Magen spielen die letzten Essensreste des Vorabends verrückt. Warum musste ich auch bloß noch etwas essen vor dem Schlafengehen. Egal, ich ignoriere ihn einfach, versuche es zumindest.
Ich gehe weiter, immer geradeaus.
10 Minuten später sehe ich das blaue U-Bahnschild im dunkeln aufleuchten, die Flucht vor dem Wind ist in greifbarer Nähe. Nur noch die Straße.
Ich hasse diese Straße, denn auf der wimmelt es immer von Autos. Ich stehe am Straßenrand und warte, meinen Schal etwas fester zuziehend. Im Geiste rechne ich die Sekunden zusammen, die mir noch bleiben, um meine Bahn noch zu bekommen.
Ich muss rennen, und nutze die erstbeste Gelegenheit, über diese gottverdammte Straße rüber zu kommen. Hätte ich es nicht getan, wäre meine Bahn weg, und ich hätte auf den Kaffee verzichten müssen.
Nie im Leben würde ich heute auf meinen Kaffee verzichten!
Die letzte Windböe noch mitgenommen, tauche ich in den stinkenden Untergrund ein. Der Bahnsteig ist überfüllt, wie jeden Montagmorgen. Eigentlich wie jeden Tag um diese Uhrzeit.
Ich hasse die Frühschicht, weil sie so früh beginnt. Anderseits habe ich in den ersten 3 Stunden größtenteils meine Ruhe. Die Nerverei fängt meist erst Vormittags an.
Zwei Minuten, zeigt die Anzeigetafel. Ich stell mich einfach irgendwo hin, denn die Sitzplätze sind natürlich alle besetzt. Gähnend schaue ich mich um. Man könnte meinen, dass ich mich selbst in jedem Gesicht wiedererkenne. Müdigkeit, Motivationslosigkeit, Unwohlsein. Doch da ist noch etwas anderes... ich meine Leblosigkeit.
Es herrscht Totenstille auf dem Bahnhof. Keiner ist fähig, um diese Uhrzeit auch nur 3 Worte herauszubringen. Nicht mal die beste Freundin will über weiß Gott wem herziehen, nicht mal die aktuellsten Facebookposts werden herumgezeigt.
Die Bahn kommt, natürlich schon total überfüllt. Ich quetsche mich einfach hinein und denke nicht an Sardinen. Nein, ich ignoriere einfach weiterhin, auch dass es stinkt und strickig ist. Drei Stationen später leert sich die Bahn, und jeder Stehende stürmt zu einem Platz, mich eingeschlossen. Ich habe mein Buch zuhause vergessen, den MP3-Player leider auch. Also lausche ich das monotone Geratter der Bahn, und die Stationansage. Ich schau mich wieder um und sehe in noch lustlosere Gesichter. Es herrscht weiterhin immenses Schweigen. Die Stille ist so unglaublich unheimlich und unreal. Man möchte fast schon losschreien, um diese mysteriöse Sphäre zu durschbrechen.
Einige Leute nicken hin und wieder ein. Manche Frauen haben tierisch gequollene Augenringe, die sie versucht haben mit fettes Make Up abzudecken. Jeder hat einen Kaffeebecher in der Hand, jeder scheint Kilometer weit weg zu sein.
Und dann steigen die Straßenmusikanten ein.
Wenn es etwas gäbe, was man Montags um diese Uhrzeit absolut nicht gebrauchen kann, dann sind es diese.
Da geht es auch schon los. Eine fröhliche, mexikanische Musik wird lautstark angestimmt, dazu die laute Trompete, eine schallende Trommel und die grauenhafte Stimme eines älteren Mannes. Wir alle blicken auf und schicken Todesflüche durch die Bahn, doch der Sänger ging mit strahlenden Lächeln durch die Bahn, und erbettelte selbstverstendlich keinen einzigen Cent.
Zwei Stationen später ist wieder Ruhe. Ein Mann weiter vorne nuschelt etwas vor sich hin und schüttelt den Kopf. Meine Meinung, antworte ich im Geiste.
Wenn der Tag so beginnt, kann er eigentlich nur besser werden, rede ich mir ein und steige an der nächsten Station aus.

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